Standpunkte 4/2018
Sandy (l.) erklärt den Teilnehmern einer Probe führung durchs Museum für Hamburgische Geschichte anhand eines Modells, wo der Große Brand begann. Die künftigen Museumsguides Sandy, Rawan und Zoe (v. l.) haben sich in Schale geworfen: In Roben des 19. Jahrhunderts versuchen sich die Jugendlichen in die Zeit des Hamburger Brandes hineinzuversetzen. Als Guide durchs Museum Nach einem neu entwickelten Training von NORDMETALL- Stiftung und Museumsdienst Hamburg erarbeiten Jugendliche eigene Führungen. Die einst weißen Mäntel der Spritzenleute sind rußge- schwärzt. Abgekämpft blicken sie auf das, was von ihrer Stadt noch übrig ist. Am 8. Mai 1842 ist er endlich ge- löscht, der Große Brand von Hamburg. Die 17-jährige Sandy macht einen Schritt auf die kleine Zuhörerschar zu und erklärt: „Der Hamburger Brand verwüstete mehr als ein Viertel des damaligen Stadtge- bietes. 51 Menschen kamen ums Leben. Rund 20.000 Menschen verloren ihr Zuhause.“ Stefanje Meyer unterbricht: „Halte mehr Abstand zum Publikum. Das zwingt dich, lauter zu sprechen.“ Eigent- lich arbeitet Meyer als freie Theaterpädagogin am Deu tschen Schauspielhaus. Heute ist sie ins Museum für Hamburgische Geschichte gekommen. Auf dem Plan steht ein Training für Jugendliche, die sich zu Muse- umsguides ausbilden lassen möchten. Die NORDMETALL-Stiftung und der Museumsdienst Hamburg bieten dieses Training in diesem Jahr zum ers- ten Mal an. Fünf Tage lang lernen Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, wie sie mit den Geschichten, die in jedemMuseumschlummern, Andere in ihrenBann ziehen können. Dafür müssen die Fakten sitzen. Außer- dem braucht jeder Museumsführer ein bisschen schau- spielerisches Talent und ein gutes Gefühl für die richtige Dramaturgie. Das alles lernen die jugendlichen Guides im Museum für Hamburgische Geschichte von Stefanje Meyer und der Museumspädagogin Alexandra Bode. Auch das Bucerius Kunst Forum, das Museumder Arbeit, dieHamburger Kunsthalle und dieDeichtorhallen öffnen ihre Ausstellungen und Sammlungen im Rahmen des Projektes für die entdeckungslustigen Jugendlichen. Auf Zeitreise „Ausstellungen zu besuchen, wenn alle anderen noch draußen bleiben müssen, ist für mich etwas ganz Be- sonderes“, sagt Zoe. Die 17-jährige Schülerin steckt in einem roten, bodenlangen Kleid mit Puffärmeln. Um sich besser in die Zeit des Großen Brandes hineinverset- zen zu können, hat sich jede der Teilnehmerinnen ein Kleid aus dem Museumsfundus ausgesucht, das dem Stil jener Jahre entspricht. Mit allen Bändern, Ösen und Unterkleidern haben sich die Mädchen mühevoll ange- zogen. Nun geht es darum, Präsenz zu üben. Also Hal- tung und Blickkontakt gezielt einzusetzen, um bei Füh- rungen die Aufmerksamkeit der Zuhörer möglichst lan- ge auf sich zu ziehen. Mit einem Buch auf dem Kopf schreiten Sandy, Zoe und die 13-jährige Rawan durch die „gute Stube“ des Museums – einen Bereich, in dem Mö- bel und andere Einrichtungsgegenstände zu sehen sind, die zur Zeit des Großen Brandes modern waren. Ganz nebenbei lernen die Schülerinnen auch, wie die franzö- sische Fächersprache funktionierte, mit der sich im 18. und 19. Jahrhundert die Gäste auf Empfängen und Bäl- len miteinander verständigten. So bedeutete etwa ein über die eigene Wange gestrichener Fächer „Ich liebe dich“. Wurde er hingegen durch die Hand gezogen, hieß das: „Ich hasse dich!“ „Wir möchten durch das Training nicht nur junge Men- schen wieder stärker an Museen heranführen“, sagt Vera Neukirchen, Leiterin des Museumsdienstes Ham- burg. „Unser Ziel ist es auch, mehr über die Wünsche und Erwartungen von Jung und Alt an Museen heraus- zufinden.“ Dazu veranstaltet der Museumsdienst ge- meinsam mit der NORDMETALL-Stiftung im Herbst eine „Zukunftswerkstatt Museum“. Auf der Suche nach dem idealen Museumsangebot sollen die jungen ge- meinsam mit den erfahrenen Museumsführern Ham- burgs Museen und Ausstellungshäuser einen Tag lang gegen den Strich bürsten – in einem moderierten Pro- zess, bei dem die Beiträge aller Teilnehmenden gleich- wertig und gleichgewichtig einbezogen werden. Museen im Hier und Jetzt „Das Programm besitzt eine ideale Mischung für uns“, sagt Kirsten Wagner, Geschäftsführerin der NORDME- TALL-Stiftung. „Zum einen weckt es das Interesse der Jugendlichen, sich genauer mit Kunst und Museen zu beschäftigen – und schließlich selbst zu Multiplikato- ren zu werden – zum anderen trägt es dazu bei, etablier- te Rezeptions- und Präsentationsgewohnheiten zu hin- terfragen und Museumsbesuche zeitgemäß zu gestal- ten.“ Teilnehmerin Sandy ist von dem Konzept überzeugt: „InMuseen steckt viel mehr, als man auf den ersten Blick denkt.“ Sie will sich dafür starkmachen, dass das Training und die Museumsführungen fest in ihrer Schule verankert werden. BiB Fotos: Ibrahim Ot 20 4/2018 Standpunkte NORDMETALL 21 4/2018 Standpunkte NORDMETALL
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