Standpunkte 3/2018
auch bei Altfällen aus früheren Jahren, dar- legen, dass es keine geeignete Vollzeitstelle gibt oder der Bewerber nicht geeignet ist. Im Extremfall ist – Stand heute – zu befürchten, dass sogar eine neue, betrieblich nicht not- wendige Stelle geschaffen werden muss. Das ginge gar nicht, das wäre amEnde DDR light. Bartke: Wer soll außer dem Arbeitgeber denn sonst darlegen, ob der Betrieb das stemmen kann oder nicht? Das macht schon Sinn. Und es dürfen – wie gesagt – keine be- trieblichen Gründe gegen die Brückenteil- zeit sprechen. Also nichts mit DDR light. Wenn Sie aber schon auf die DDR anspielen: Da war vieles schlimmund falsch, aber eines nicht: sichere Arbeitsplätze und intensive Kinderbetreuung. Ich will keine ostdeut- schen Verhältnisse aus der Zeit vor dem Mauerfall, aber sicherere Arbeitsplätze und bessere Kinderbetreuung, das wollen wir So- zialdemokraten auf jeden Fall. Fickinger: Dann sollten Sie dort auch an- setzen. Je besser die Betreuungsmöglichkei- ten, umso früher kehren junge Eltern zurück an den Arbeitsplatz. Hier darf sich der Staat gerne noch stärker engagieren. Und sichere Arbeitsplätze schafft man nicht durch höhe- re Kosten und mehr Belastungen für die Ar- beitgeber. Die bekommen richtige Probleme, wenn durch das Festschreiben von bedin- gungslosen Ansprüchen eine Art „Arbeits- zeit auf Zuruf der Arbeitnehmer“ eingeführt wird. Diese tickende Arbeitszeit-Bombe macht den Personaleinsatz unkalkulierbar. Außerdem steht hinter diesen Plänen eine lebensfremde Misstrauens-Unkultur: Kein Arbeitgeber hat ein Interesse, gut eingear- beitete Mitarbeiter nicht wieder in Vollzeit zu beschäftigen, wenn sie es wollen. Keiner will ständige Personalfluktuation mit ent- sprechenden Reibungsverlusten, keiner will immer wieder erfolglos den leergefegten Fachkräftemarkt absuchen. Arbeitgeber halten heute ihre Leute so gut es nur geht, das ist die Wahrheit. Bartke: Die Erfahrungen von Betriebsräten und vielen Frauen sind da differenzierter. Umhier für Gerechtigkeit zu sorgen, braucht es gesetzliche Regelungen, die das Land nicht aus den Angeln heben werden. Ich er- innere an 1985 – erst da hat Helmut Kohl das Beschäftigungsförderungsgesetz mit der sachgrundlosen Befristung eingeführt. Vor- her war’s besser. Standpunkte: Kann es sein, dass die SPD das Thema so in die Privatwirtschaft trägt, weil sie derart davon ablenken will, dass ge- rade staatliche Institutionen intensiv mit Befristungen und Kettenverträgen arbeiten? Bartke: Nein, wenngleich Ihre Kritik durch- aus berechtigt ist. Die SPD-geführten Minis- terien in Berlin reduzieren diese befristeten Arbeitsverträge daher jetzt drastisch. Denn es ist richtig: Die SPD-Ministerien müssen hier vorbildlich sein. Fickinger: Für den Missbrauch im öffentli- chen Dienst, den Sie längst hätten beseitigen können, bestrafen Sie jetzt die gesamte Pri- vatwirtschaft. Das ist unverantwortlich, un- gerecht und nicht akzeptabel. Standpunkte: Wir danken Ihnen für das Gespräch. Luc „Sichere Arbeitsplätze schafft man nicht durch höhere Kosten und mehr Belastungen für die Arbeitgeber.“ fen nach dem geplanten Gesetz keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Sie muss angekündigt sein und mindestens ein Jahr lang dauern, höchstens aber fünf. Für Arbeitgeber bedeutet das ein hohes Maß an Planbarkeit. ImÜbrigen ist weder durch den Mindestlohn die Welt untergegangen noch dürfte die Wirtschaft durch die vernünfti- gen Regelungen für mehr Flexibilität in der Arbeit im neuesten M+E-Tarifvertrag Scha- den nehmen. Standpunkte: Der jüngste Tarifvertrag kann also als Vorbild für die neuen Gesetzes pläne herhalten? Fickinger: Unser Tarifvertrag ist viel reali- tätsnäher. Deshalb sollte die Koalition sol- che Präzisierungen ausdrücklich erlauben und das bitte auch im Gesetzestext fest- schreiben. So kann der Arbeitgeber zumBei- spiel den Teilzeit-Wunsch ablehnen, wenn er die ausfallenden Stunden nicht betriebsin- tern kompensieren kann. Außerdem haben wir Tarifpartner Überlastquoten vereinbart, also eine Obergrenze von 10 Prozent für be- fristete Teilzeit pro Betrieb oder 18 Prozent, wenn wir tarifliche und gesetzliche Teilzeit zusammenfassen. Auch so ein Überforde- rungsschutz fehlt in den Regierungsplänen. Die sind sowieso mehr als paradox: Teilzeit ohne Sachgrund wird ausdrücklich geför- dert, Befristung ohne Sachgrund massiv eingeschränkt. Das zeigt doch: Der Arbeits- minister hat einzig die Arbeitnehmerinte ressen im Blick. Die Wünsche der Arbeitge- ber – zumBeispiel nach einer EU-konformen Verteilung der Wochenarbeitszeit – werden dagegen auf die lange Bank geschoben und in Experimentierklauseln gepackt. Bartke: Ich denke, wir müssen das grund- sätzlicher angehen. Teilzeit betrifft doch in der Realität zu 80 Prozent Frauen, die in der Familienzeit ihre Kinder erziehen wollen. Wenn die dann flügge sind und die Mütter wieder in Vollzeit arbeiten wollen, geht das aber häufig nicht mehr – sie befinden sich in der Teilzeitfalle, aus der sie nicht mehr her- auskommen. Das ist es zumindest, was wir von Betriebsräten und den Frauen aus den Unternehmen vielfach hören. Ich finde, da muss Politik Problemlösungen anbieten, und unser geplantes Brückenteilzeitgesetz ist eine gute Lösung. Und wenn der Bundes- tag erst mit dem Gesetzentwurf befasst wird, gilt auch hier die Struck'sche Regel (Anm. d. Red: nach dem früheren langjähri- gen SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundes- tag, Peter Struck), dass kein Gesetz aus dem Parlament so herauskommt, wie es hinein- gegangen ist. Standpunkte: Damachen Sie den Arbeitge- bern ja Hoffnung. Die brauchen sie auch für das Thema Beweislastumkehr, oder? Fickinger: Ja, so ist es. Nach den Ideen von Minister Heil muss der Arbeitgeber immer, Engagierte Debatte nach der Sendung: SPD-Sozialpolitiker Dr. Matthias Bartke (l.) und Arbeitgebervertreter Dr. Nico Fickinger. Foto: Christian Augustin Im Standpunkte TV-Studio (v.l.n.r.): Kerstin Sprengard, Betriebsrätin Siemens AG Hamburg, Dr. Matthias Bartke, SPD-MdB Hamburg-Altona, Alexander Luckow, Standpunkte-Chefredakteur, Dr. Hans-Peter Klös, Leiter Wissen- schaft IW Köln, Dr. Nico Fickinger, Hauptgeschäftsführer NORDMETALL. Standpunkte TV zu neuen Arbeitsrechtsplä- nen ist abrufbar unter www.nordmetall.de oder bei Youtube. 32 3/2018 Standpunkte NORDMETALL 33 3/2018 Standpunkte NORDMETALL
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