Standpunkte 3/2018
Die Aufgabe ist klar: Wer baut den höchsten und stabils- ten Papierturm? Für die Lösung bekommen 16 Fünft- klässler der Gerhard-Rohlfs-Oberschule in Bremen nur A4-Papier, Tesafilm, Bleistift und Schere an die Hand – und 50 Minuten Zeit. Schnell bilden sich Teams, erste Skizzen entstehen, dann wird gebaut: Würfel, Röhren, gerollte Bögen. „Ich hatte befürchtet, dass die Schüler in der letzten Unterrichtsstunde nicht mehr konzentriert sind. Aber am Ende standen sie auf den Stühlen, um noch höher bauen zu können“, erzählt Lehrerin Esra Dikmen begeistert. Die Mathestunde hat sie gemeinsammit Prozessingeni- eur Dirk Geisler von der Firma Hella Fahrzeugkompo- nenten im Rahmen von „MINT for Ing“ entwickelt. Bei der Fortbildung lernen Lehrkräfte auf Augenhöhe mit Experten aus Unternehmen über einen Zeitraum von vier Monaten hinweg. Dabei werden Erkenntnisse aus dem Industriealltag mit schulischem Stoff verbunden. „Ich bin in die Fertigung von Ölniveau-Sensoren für Au- tos eingebunden“, sagt Geisler. „Für eine fünfte Klasse ist das zu komplex. Aber wieman eine Aufgabe imTeam löst, so wie Ingenieure das täglich praktizieren, können Schüler das natürlich auch.“ Lehrerinnen und Lehrer dabei zu unterstützen, span- nenden MINT-Unterricht zu gestalten – mit diesem Ziel hat der Flugzeugbauer Airbus 2012 das Projekt „MINT for Ing“ in seinem Bremer Werk initiiert. Ein Jahr später holte das Unternehmen denArbeitgeberverband NORD- METALL ins Boot, weitere Partner folgten im Laufe der Jahre. Maßgeschneiderte Fortbildung für Lehrer Unlängst ist die sechste Runde mit 17 „Lerntandems“ aus Ingenieuren und Pädagogen zu Ende gegangen. Au- ßer Airbus und Hella gehören auch Gestra, Thyssen- Krupp System Engineering, Schulz Systemtechnik und Deutsche Telekom sowie die Bremer Bildungsbehörde und das Landesinstitut für Schule Bremen (LiS) zum Kreis der Organisatoren. „Das ist genau die Art Fortbil- dung, die Lehrer brauchen, weil sie Brücken baut und Praxisbezug schafft“, betont Anja Krüger vom LiS. So besuchen die Pädagogen vor der gemeinsamen Schul- stunde „ihren“ Experten am Arbeitsplatz und lernen die betrieblichen Abläufe kennen. Mathe-Lehrerin Esra Dikmen konnte beispielsweise bei Hella beobachten, wie Sensoren für die Kontrolle des Ölstands im Auto ge- fertigt werden – alle vier Sekunden einer, acht Millionen im Jahr. „Es hat mich fasziniert, zu sehen, wie viele klei- ne Teile in einem Sensor stecken und wie exakt alles ge- taktet ist. Das ist so völlig anders als mein Schulalltag.“ Die Tandempartner des 2018er „MINT for Ing“-Jahr- gangs wurden gezielt nach fachlichen Schwerpunkten ausgewählt. „Wir haben uns an den MINT-Lehrplänen der Bremer Schulen orientiert und die Firmen gefragt, bei welchen Themen sie unterstützen können. So brin- gen wir schulische und betriebliche Realität näher zu- sammen und Berufsorientierung in den Unterricht. Da- von profitieren alle“, erklärt Thomas Küll, Abteilungs- leiter Weiterbildung und Personalentwicklung bei NORDMETALL. Experimente mit Material aus dem Flugzeugbau Das Konzept ging auf, wie sich auf der Abschlussveran- staltungMitte Mai gezeigt hat, als die Teams ihre Ergeb- nisse vorstellten. So durften manche Schüler mit Mate- rialien aus dem Flugzeugbau experimentieren und da- bei einiges über Faser-Kunststoff-Verbunde lernen; andere bauten kleine automatisierte Montagestationen auf. Im Bremer Schulportal „ItsLearning“ stehen die Einheiten nun allen Lehrkräften zur Verfügung. 2019 geht „MINT for Ing“ ins siebte Jahr – mit einem Neuzugang: den Stadtwerken Bremen. Das freut Bernd Schröder, Ausbildungsleiter im Bremer Airbus-Werk und Initiator des Projekts: „Es war von Anfang an unser Wunsch, das nicht allein zu organisieren, sondern ein Netzwerk aus Firmen und Schulen zu knüpfen. Das ver- stetigt sich nun und zeigt den großen Bedarf.“ Bisher haben sich 90 Lehrkräfte weitergebildet, etwa ein Drit- tel der diesjährigen Teilnehmer war zum wiederholten Mal dabei. Für eineWiederholung kannman sicher auch die Fünft klässler der Gerhard-Rohlfs-Oberschule gewinnen. Nach dem Turmbauen mit dem Ingenieur stand für sie fest: „Das war die allerbeste Mathestunde.“ Vielleicht war es für manchen sogar die Initialzündung, sich künftig intensiver mit den Naturwissenschaften zu be- schäftigen. Das ist zumindest die Hoffnung der Projekt- partner. BK Erfolgsmodell „MINT for Ing“: Bei der sechsten Auflage der Fortbildung haben 17 Lehrer- Ingenieur-Tandems mit- und voneinander gelernt. Daraus sind praxisnahe Unterrichtseinheiten entstanden, die bei den Schülern ankommen – inklusive Turmbau im Klassenzimmer. Brücken schlagen zwischen Schule und Betrieb Firmenbesuch bei Hella: Prozessingenieur Dirk Geisler erklärt Lehrerin Esra Dikmen, wie Ölniveau-Sensoren für Autos gefertigt werden. Abschlusstreffen der Organisatoren und Tandems des „MINT for Ing“-Jahrgangs 2018 auf dem Bremer Airbus-Gelände. Fotos: Michael Schnelle Fotos: Michael Schnelle (oben), Christian Augustin 10 3/2018 Standpunkte NORDMETALL
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