Standpunkte 1/2018

preisen. Ich war vor einiger Zeit in Kanada, dort kostet die Kilowattstunde nur sieben kanadische Cent. Da ist jede Infrastruktur­ investition rasch rentabel, mindestens in den Städten. Bei uns kostet Strom ein Vielfa- ches und es fehlt an modernen Netzen, von der Niederspannung bis zur Mittelspan- nung. Es geht also am Ende um gewaltige Infrastrukturinvestitionen, damit die Elek­ tromobilität vorankommt. Und wenn die sich nicht am Markt refinanzieren, müssen wir eben auf den Staat warten. Standpunkte: Brauchen wir nicht eine ideologiefreiere, sachlichere Debatte um die Mobilität der Zukunft, ohne Verbotsan­ drohungen oder angebliche Horrorzahlen von vielen tausend Feinstaub- oder Stick­ oxidtoten? Klingner: Natürlich, die Panikmache ist Unfug. Wir sollten mehr Vertrauen in die Leistungen der Wissenschaft und die Ent- wicklungen der Zukunft haben. Ich habe vor acht Jahren, als die öffentliche Debatte um Elektromobilität losging, schon an Projek- tenmit dem ersten elektrisch fahrenden Bus gearbeitet. Und trotzdemwar klar: Es dauert mindestens zwischen zehn und 20 Jahren, bis sich Elektromobilität durchsetzt. Und das liegt nicht nur an Ladestationen oder Reichweiten, das liegt auch an der derzeit nochmangelhaften Umweltbilanz der Batte- rietechnologie: Abgesehen mal von den Energieinhalten, ist auch der Verbrauch im Verhältnis zur Leistung am Ende unverhält- nismäßig. Der klassische Verbrennungsmo- tor bleibt uns deshalb noch lange erhalten und sollte nicht weiter verteufelt werden. Byl: Panik ist nie ein guter Ratgeber, das können wir festhalten. Aber das Wort Ideo- logiefreiheit im politischen Rahmen ist äu- ßerst problematisch, denn jede Person die in der Politik handelt, hat eine Ideologie. In der Wissenschaft ist das anders. Da sollte ergeb- nisoffen geforscht werden und ich hoffe, dass auch Sie das tun. Aber in der Politik ha- ben die Parteien unterschiedliche Vorstel- lungen. Ohne eine Vision funktioniert Zu- kunft nicht. Was passiert, wenn die fehlt, erleben wir doch gerade auf Bundesebene: Die Klimaziele 2020 sind einfach so gekippt worden. Das ist auch für die Industrie mei- ner Meinung nach ein Problem. Standpunkte: Was sagen Sie eigentlich den VW-Arbeitern, die wegen kurzfristig dro- hender Dieselfahrverbote oder langfristig personalreduziertem Elektrofahrzeugbau um ihre Jobs fürchten? Byl: Dass große Konzerne wie Volkswagen nicht die Zukunft verschlafen dürfen und Arbeitsplätze zukunftssicher sein müssen. Natürlich hat ein Elektroauto die Eigen- schaft, dass es wesentlich einfacher zu bau- en ist. Es hat weniger Komponenten, es müs- sen erst mal de facto weniger Menschen dran schrauben. Trotzdem muss es darum gehen, progressive und umweltschonende Autos gerade in Deutschland zu bauen und nicht in Korea oder China. Klingner: Wir alle sollten die Autobauer wie die Autokunden beruhigen und ihnen sagen: Weder gehören Diesel heute ver- schrottet noch ist der Benziner morgen ein Auslaufmodell. Spätestens mit der Hard­ warenachrüstung, deren Kosten noch zu klären sind, bleibt auch der Diesel ein Zu- kunftsmodell. Und die Politik sollte mit För- deranreizen arbeiten, um jede Art von um- weltfreundlicherem Auto in den nächsten Jahrzehnten am Markt zu halten – auch ei- nes mit Verbrennungsmotor. Standpunkte: Wir danken Ihnen für das Gespräch. Luc „Wir sollten mehr Vertrauen in die Leistungen der Wissenschaft und die Entwicklungen der Zukunft haben.“ Städten, dass Fahrverbotsregionen für be- stimmte Antriebsmodelle nichts bringen: Nirgendwo in Deutschland ist die Luft durch Umweltzonen besser geworden. Was hier stattfindet, ist politischer Aktionismus und purer Populismus. Standpunkte: Sind diese Verbotsdebatten, zu denen die Grünen ja neigen, nicht eigent- lich überflüssig?Wie wenig weit sie politisch tragen, haben wir ja gerade erst gesehen: Noch imWahlkampf haben die Grünen laut- stark das Verbot für Verbrennungsmotoren im Jahr 2030 gefordert, später in den Jamai- ka-Sondierungen wurde das still und heim- lich fallen gelassen. Byl: Da sollten Sie etwas über den deutschen Tellerrand schauen: Andere Länder haben tatsächlich schon feste Ausstiegsdaten aus dem fossilen Verbrenner beschlossen. Und letztendlich geht es ja nicht umVerbote, son- dern darum, Entwicklung und Forschung intensiv anzustoßen. Wir können nicht noch 15 Jahre warten, bis alternative Antrie- be endlich massentauglich sind. Die Auto­ industrie in Deutschland hat zu lange ge- wartet, um hier massiv loszulegen. Klingner: Den Vorwurf kann ich so nicht teilen. Wir arbeiten in Europa und auch dar- über hinaus seit Jahren an vielen Entwick- lungsprojekten. Da geht es um neue Techno- logien wie Wasserstoff oder um Elektrofahr- zeuge, für die mein Institut etwa beim VW-Projekt E-Golf dabei war. Der Unter- schied liegt zwischen Entwicklung und Pro- duktion: Entwickelt wird seit vielen, vielen Jahren, aber bis zur Produktionsreife dauert es eben. Schauen Sie sich den Markt für die Elektrofahrzeuge an: Der beginnt jetzt lang- sam zu wachsen, aber das können Sie nicht dominieren, da müssen die Rahmenbedin- gungen stimmen. Byl: Ja, und den Rahmen befördert eben die Politik – oder auch nicht. Die Ladesäulen­ infrastruktur zum Beispiel ist in Deutsch- land, gelinde gesagt, bescheiden. Menschen, die ökologisch denken, möchten sich eigent- lich gern ein E-Auto anschaffen, tun es dann aber doch nicht, weil sie geringe Reichwei- ten, lange Ladezeiten und den Mangel an Stationen fürchten. Klingner: Das liegt aber auch an den künst- lich hochgetriebenen deutschen Energie- Standpunkte TV zur Zukunft des Diesels mit Imke Byl (MdL), Christian Hieff (ADAC Hansa), Alexander Luckow, Gerhard Schröder (Deutschlandfunk) und Prof. Dr. Matthias Klingner (Fraunhofer-Institut für Verkehrssysteme; v.l.n.r.). Foto: Christian Augustin 32 1/2018 Standpunkte NORDMETALL 33 1/2018 Standpunkte NORDMETALL

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